Radwanderer macht den Weg frei

Der Frankfurter Dachdeckergeselle Danny Lettkemann engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für andere – dafür schwingt er sich gern aufs Fahrrad

Wenn sich Danny Lettkemann auf den Fahrradsattel setzt, steigt er so schnell nicht mehr ab. Es sind Strecken, die andere Menschen mit dem Auto, mit der Bahn oder dem Flieger zurücklegen – der 25-jährige Dachdeckergeselle schwingt sich dafür in die Pedale. 

Von Frankfurt am Main nach Rom, von Hamburg nach Oberstdorf, eine Tour durch ganz Norwegen, das alles immer in kurzer Zeit, etwa 100 Kilometer pro Tag. Schon als Kind radelte Danny Lettkemann mit Begeisterung, bis heute hat er den Drahtesel nicht gegen Auto oder Motorrad eingetauscht. „Ich habe keinen Führerschein und brauche auch keinen“, sagt der sympathische junge Mann mit den wachen dunklen Augen. Er sitzt in einem Café im Frankfurter Gallus, seinem Heimatviertel, und erzählt von seinen Projekten, vergangenen und künftigen, die stets eines verbindet: Der Gedanke an andere. 

Fahrradtouren über mehrere hundert oder sogar tausend Kilometer, das machen viele. Doch die wenigsten verbinden damit einen sozialen Zweck, so wie der gebürtige Frankfurter: 2006 sammelte er auf einer Tour 600 Euro für die Frankfurter Leberecht-Stiftung, die sich um behinderte und benachteiligte Kinder kümmert. Und demnächst, Anfang Mai, schwingt er sich aufs Fahrrad, Richtung Nordkap. 8.000 Kilometer, die er in vier Monaten schaffen will. Und auch diesmal wird er Spenden „erradeln“, für den Frankfurter Verein Vita, der Assistenzhunde für behinderte Menschen ausbildet. Wie genau das Geld zusammenkommen soll, das denkt sich der 25-Jährige gerade aus, mit Hilfe einer Frankfurter Werbeagentur, die ihn kostenlos unterstützt. 

Sich neben seiner Arbeit als Dachdecker für andere einzusetzen, das ist selbstverständlich für den 25-Jährigen. Ob als Jugendbetreuer in der Kirchengemeinde oder als Mitglied der Frankfurter Bürgerakademie, in die er als besonders engagierter Ehrenamtler aufgenommen wurde – Danny Lettkemann packt mit an. Die Bürgerakademie ist ein Seminarprogramm zur Weiterbildung und Vernetzung besonders engagierter Bürger. Ausgewählt werden diese von 24 Frankfurter Ehrenamtorganisationen. Initiiert wird die Akademie von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, eine private Stiftung, die sich vor allem in Frankfurt in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Technik sowie Kunst und Kultur engagiert. 

Von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft zum Stadtteilbotschafter ernannt, rief Lettkemann vor drei Jahren die „HandWerk[statt]“ ins Leben. 15 Monate lang traf er sich einmal die Woche mit sozial benachteiligten jungen Leuten, um mit ihnen zusammen zu arbeiten und ihnen so die Vielfalt des Handwerks zu zeigen – samt anschließender Vermittlung von Praktikumsplätzen. Vor drei Monaten rief er zusammen mit einem Freund eine kleine Stiftung, die Youth Bank Frankfurt, ins Leben: Mit Hilfe von Sponsoren bietet sie Jugendlichen, die gute Ideen verwirklichen wollen, finanzielle und ideelle Unterstützung. 

„Mir ist es wichtig, das weiterzugeben, was ich selbst lernen und erleben durfte“, sagt der gebürtige Frankfurter. Damit meint er nicht nur die Unterstützung, die er selbst erfahren durfte, wenn er in der Lehre mal nicht weiterkam oder als er mit dem Gesellenbrief in der Tasche innerhalb eines Jahres das Abitur nachholte. Sondern er spricht auch von den „kleinen Dingen“, an die er sich gerne erinnert: „In meiner Kirchengemeinde hat früher jemand ehrenamtlich einen Werkkurs angeboten. Das war für mich als Kind sehr bereichernd.“ Als Jugendlicher fing er dann selbst an, sich zu engagieren. Heute ist das seine Lebensphilosophie: „Ohne Menschen, die sich mit Freude und aus Überzeugung freiwillig für andere engagieren, funktioniert unsere Gesellschaft nicht. Das kann auch kein Staat leisten.“ 

Sich selbst vergisst Danny Lettkemann dabei aber nicht. Der junge Dachdecker ist einer, der seine Träume lebt. Die Fahrt ans Nordkap, das ist so ein Traum von ihm. Zwei Tage, bevor es losgeht, erfüllt sich der 25-Jährige einen weiteren großen Wunsch: Die Hochzeit mit seiner Freundin. Und in ein paar Jahren möchte Danny Lettkemann seinen größten Traum Wirklichkeit werden lassen und nach Norwegen auswandern. „Nicht nur die Landschaften dort sind einmalig, auch handwerklich stellen sich da jede Menge Herausforderungen.“ 

Bis dahin hat sich der Dachdeckergeselle noch einiges vorgenommen, zum Beispiel ein Architekturstudium an der Frankfurter Fachhochschule, das er im Herbst beginnen will. Was für Danny Lettkemann jedoch keinen Abschied vom Handwerk bedeutet. „Ich bin dem Handwerk und meinem Beruf nach wie vor sehr verbunden – mit dem Studium begebe ich mich nur auf eine neue Ebene.“ 

Und natürlich hat er schon ein Projekt im Kopf, das er gerne in Norwegen realisieren möchte: einen Austausch zwischen deutschen und norwegischen Handwerkslehrlingen. Als Auszubildender arbeitete Lettkemann selbst drei Wochen lang in einem Betrieb in Frankreich und schwärmt heute noch davon: „So ein Einblick in eine andere Welt, das war ein riesiges Glück für mich.“ Er könne einen Auslandsaufenthalt jedem jungen Menschen nur wärmstens ans Herz legen: „Es bedeutet eine große Bereicherung, nicht nur zu sehen, wie in einem anderen Land gearbeitet wird, sondern auch zu erleben, dass man sich trotz Sprachbarriere verständigen kann.“ „Über den Tellerrand schauen“ – das ist ein Ausdruck, den der junge Dachdecker mit Weitblick gerne benutzt. 

Doch auch für Danny Lettkemann hat der Tag nicht mehr als 24 Stunden. Woher nimmt er seine Energie für all das, was er macht? Der 25-Jährige denkt kurz nach und erzählt dann von seinem älteren Bruder, der bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals gewickelt hatte und deswegen mit zu wenig Sauerstoff versorgt wurde. Heute ist der 30-Jährige körperlich und geistig schwer behindert. „Das zu erleben, hat mir schon früh deutlich vor Augen geführt, wie uneingeschränkt ich das Leben genießen kann“, sagt Danny Lettkemann: „Deswegen gönne ich jedem mehr, der das nicht kann.“ Und noch eine weitere Motivation nennt er: „Entweder man läuft nur mit oder man ist das Zugpferd.“ Er sei lieber Letzteres, sagt der 25-Jährige. Nicht nur, weil er dann selbst die Richtung bestimmen könne. „Ich kann den Weg auch schon mal ablaufen, um ihn dann denen zu zeigen, die im Leben nicht so viel Glück haben.“

Susanne Andriessens

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